Und was ist mit Hebräer 9,22?

Posted by Tobias on

Manche werden als Einwand gegen die hier vorstellte Sühnetheologie sofort Hebr. 9,22 anführen, wonach ohne Blutvergießen keine Vergebung geschehe.

Und fast alles wird nach dem Gesetz mit Blut gereinigt, und ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung (Hebr. 9,22).

Wenn man diese Stelle isoliert betrachtet, könnte man herauslesen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen gibt zwischen dem Vergießen von Blut und dem, dass Gott gnädig ist und Sünden vergibt. Also umgekehrt fomuliert: Sofern kein Blut vergossen wird, kann Gott auch nicht gnädig sein und Sünden vergeben.

Doch geht dieser Schluss nicht über die Aussage dieser Textaussage hinaus? Was kann man legitimerweise aus diesem Abschnitt herauslesen? Immerhin gibt es einige Stellen in der Bibel in der Gott – und nicht zuletzt Jesus – ganz ohne vorheriges Blutvergießen Sünden vergibt.

Diese Stelle interpretiert der Verfasser dann folgendermaßen:

Der Verfasser des Hebräerbrief beschreibt hier den unbetreitbaren Zusammenhang zwischen den Opferdienst im alten Bund und der dann zugesprochenen Vergebung der Sünden. Festzuhalten ist zunächst, dass hier dem alten Alten Bund bescheinigt wird, dass er eine wirksame Vergebung der Sünden leistet! Während die klassische Sühnetheologie ja behauptet, bei der Vergebung im AT habe es sich nur um eine „Bedeckung“ von Sünden gehandelt, weil Yom Kippur ja auch „Tag der Bedeckung“ heisst, und erst durch das Kreuz eine finale Tilgung als vollgültige Vergebung stattgefunden habe.

Man kann sich allerdings schwer vorstellen, dass sich die Isrealiten nach Vollzug der Riten des alten Bundes nicht sicher sein konnten, jetzt eine vollgültige Sühnung für begangene Sünden erlangt zu haben, zumal die Sünden ja sehr anschaulich auf den einen Ziegenbock geladen und dieser dann in die Wüste getrieben wurde.

Von daher möchte ich nochmals festhalten: Das alte Testament kann Sündenvergebung.

Es ist mir selbstverständlich bewusst, dass Stellen wie Hebr. 10,3.4 zur Stützung der klassischen Sicht der Sühnetheologie heranzogen werden. Hier steht, dass es durch die Opfer jedes Jahr eine Erinnerung an die Sünden gibt, denn unmöglich kann Blut von Stieren und Böcken Sünden wegschaffen.

Die Frage ist nun allerdings, was unter dem Wegschaffen von Sünden zu verstehen ist.

Es fällt auf, dass, wenn der Hebräerbrief vom Neuen Bund spricht, er in Bezug auf die Sünde nicht den Begriff „Vergebung“ verwendet – obwohl er den Begriff ja auch kennt und in Bezug auf den Alten Bund verwendet. Dies steht in einem starken Kontrast zur klassischen Sühnetheologie, bei der die zentrale Erlösungsleistung Jesu in der Vergebungsmöglichkeit von Sünde besteht. In Bezug auf auf den Neuen Bund wird gesprochen von „wegschaffen“ (Hebr. 10,4 und Hebr. 10,11), von der Beseitung/Aufhebung/Abschaffung der Sünde (Hebr. 9,26).

Es liegt nahe, dass zur Abschaffung der Sünde mehr gehört, als nur Vergebung von Sünde und immer wieder von neuem vergeben, vergeben, vergeben von Sünde. Wie wir oben gesehen haben, konnte das AT genau dies auch bereits. In der Passage um Hebr. 10, 5-18 wird dagegen das Wegschaffen der Sünde in Verbindung mit der Heiligung gebracht. Das Thema der Heiligung kommt in diesem Abschnitt mehrmals vor (Hebr. 10,9 und 10,10 und 10,14 und 10,16). Erst ganz am Ende wendet er sich wieder der Sündenvergebung zu.

Dies ist der Bund den ich mit Ihnen schließen werde nach jenen Tagen, fährt der Herr fort: ich werde meine Gesetze in ihr Herz geben und sie in ihren Sinn schreiben und ihrer Sünden und Gesetzlosigkeiten werde ich auf keinen Fall mehr gedenken. Wo aber Vergebung der Sünden ist, da geschieht für sie kein Opfer mehr (Hebr. 10,17.18).

Der Neue Bund kann also Abschaffung von Sünde, was Wiedergeburt mit Heiligung und Vergebung einschließt. Er kann bei weitem nicht nur Vergebung der Sünde. Er kann Erlösung.

Der Neue Bund wird mit dem einmaligen Opfer Jesu durch Vergießen seines Blutes in Kraft gesetzt. Ja, es ist vollbracht. Und hier sind wir jetzt bei der Betonung des Blutvergießens in Hebr. 9,22.

Diese Passage im Hebräerbrief ab Kap. 9,15ff hebt auf den Bundescharakter der beiden Testamente ab. Das Blut steht zuallerst für ein Testament, einen Bund, einen Vertrag. Und da Blut das Symbol für Leben ist, steht es für einen Vertrag auf Leben oder Tod zwischen Gott und dem Menschen. Der Vertrag mit Charakter eines Testaments erhält seine Inkraftsetzung erst durch Eintreten des Todesfalls.

Der Schreiber des Hebräerbriefs will in Hebr. 9,22 somit aussagen, dass im AT natürlich bereits vollgültige Vergebung erfolgte und da dies einen Vertrag/Bund auf Leben oder Tod darstellt, wurde dieser Bund des AT mit Blut bekräftigt. Und genauso wird der Bund des neuen Testaments zur Erlösung/Abschaffung/Beseitigung der Sünde mit Blut bekräftigt. Quasi als ob er sagen möchte:

Ohne Blutvergießen geschieht kein Vertrag zur Abschaffung der Sünde.

Und genauso wenig, wie Gott im AT durch den Tod der Tiere erst gnädig gestimmt werden muss, damit er vergibt, genauso wenig muss er im NT durch den Tod des Sohns erst gnädig gestimmt werden, dass er uns von der Sünde erlöst. Beides sind Gottes Angebote zur Sühne, zur Versöhnung, damit die Beziehung zu Gott wieder in Ordnung gebracht werden kann.

Hebr. 9,22, isoliert betrachtet, suggeriert zwar eine Art Umstimmungsleistung durch das vergossene Blut. Bei dem Sühneangebot des NT handelt es sich jedoch um Erlösungsleistung und nicht um eine Ausgleichsleistung/Kompensationsleistung für Schuld, durch die Gott erst umgestimmt werden muss.

Selbstverständlich kommt das Angebot zur Erlösung von der Sünde auf dem Weg der Menschwerdung Jesu, des blutigen Kreuzestodes Christi und seiner Auferstehung zustande. Wie die Erlösung erklärt werden kann, habe ich an anderer Stelle gezeigt. Hieraus wird deutlich, dass alle Ergebnisse des Neues Bundes uns erst mit dem qualifizierten Leben Jesu nach seiner Auferstehung zukommen und dass die Gleichung „Gib Todesleistung rein->hole Gnade, Barmherzigkeit Vergebung Gottes“ raus eine verkürzte, ja irreführende Erklärung für das Blutvergießen wäre.