Kann Gott bedingungslos vergeben?

Der Begriff vom stellvertretenden Sühnetod ist missverständlich.

Letzte Überarbeitung: 04.02.2020

Hinter dem Begriff vom stellvertretenden Sühnetod steht die Logik, dass sich Gott in seiner Liebe selbst opfert, um durch das Mittel des Todes seines sündlosen Lebens die Sünden der Welt zu sühnen, zu tilgen, auszulöschen, auszugleichen, einem heiligen Gott Genugtuung zu leisten.  Dass also der Tod Jesu unmittelbar die endgültige Auslöschung der Sünden der ganzen Welt aus dem Universum Gottes bewirkt. Und weil hierbei der Ausgleich für sämtliche Sünden der Welt geschieht, sei die Art und Weise des Todes Jesu am Kreuz eben besonders grausam. Hebr. 9,22 z. B., für sich genommen, baut scheinbar einen direkten Ursache-Wirkungs-Zusammenhang auf, in dem erklärt wird, dass ohne Blutvergießen keine Vergebung geschehe.

Viele Christen haben allerdings ein Problem mit der Vorstellung, dass Gott ein grausames und blutiges Opfer am Kreuz als Ausgleich dafür braucht, seiner Gerechtigkeit Genüge zu tun, seinen Zorn über die Ungerechtigkeit der Menschen zu besänftigen und den Menschen vergeben zu können. Ist das noch ein Gott der Liebe, der auch in der Schrift noch schreiben lässt, dass er die Liebe sei (1. Joh. 4,16)? Ein solcher Gott käme dem kanaanäischen Gott Moloch mit seinen grausamen Opferriten von Kindern sehr nahe. In der Moloch-Logik führt der Opfertod von Menschen zur Sühne, Vergebung und Schuldentilgung, wodurch sich die Menschen ein Weiterleben unter dem Segen von Moloch erwerben.

Mit einem solchen Gottesbild haben wir Schwierigkeiten. Ich auch. Vor allem auch deswegen, weil Christen aufgefordert sind, bedingungslos zu vergeben und ihr Gott kann es anscheinend selbst nicht! Wie lässt sich das Kreuz mit einem Gott der Liebe vereinbaren? Gilt denn auch für den christlichen Glauben diese Opfer-Vergebungs-Logik? Kann Gott denn nicht bedingungslos vergeben?

Ein moralisches Universum

Im Ausgangspunkt steht zunächst eine philosophische Überlegung: Wenn eine ungerechte Tat keine Folgen aufweist, dann wäre das Universum insgesamt ein unmoralisches Universum. Jeder könnte einfach machen, was er will. Böses könnte geschehen, ohne dass es irgendwelche Konsequenzen zeitigt. Ein Gott, der das einfach so geschehen und mit sich machen lässt, wäre nur der sogenannte „liebe Gott“, ein Papiertiger, der zu allem ja und amen sagt.  Ungerechtigkeit führt zu einem Konflikt mit Gott. Ja, Gott und das Ungerechte stehen sich feindlich gegenüber. Es trennt von Gott. Es ist ein Sund. Daher wird Ungerechtigkeit gegenüber Gott auch Sünde genannt.

Und unser Gerechtigkeitsempfinden sagt uns, dass ein solcher „lieber“ Gott dann auch wieder kein gerechter Gott sein könnte.

Ein „lieber Gott“ in Anführungsstrichen ist kein lieber Gott!

Dass dieser „liebe Gott“ nur eine menschliche Vorstellung ist, macht die Bibel klar, indem sie von einem heiligen Gott redet, mit dem das Ungerechte nicht vereinbar ist. Das ist dann ein Gott, der das Böse, das Ungerechte bekämpft und Konsequenzen zieht. Was ja erstmal gar nicht so schlecht ist. Denn wir regen uns ja über manche Ungerechtigkeiten auch mit Recht auf, oder nicht?

Der Tod als Folge der Sünde

In der christlichen Weltanschauung bedeutet diese Konsequenz Gottes, dass ungerechte Taten in die Gottesferne, in den Tod führen (Röm. 6,23). Alle, die von Gott, Teufel oder Mitmenschen aus irgendeinem Grund berechtigt angeklagt werden können, verletzen die Beziehung mit Gott und ein geschriebenes oder ungeschriebenes Gesetz von Gottes Gerechtigkeit und Heiligkeit. Sie haben Schuld auf sich geladen, die ihnen zugerechnet werden muss. Dies führt ganz automatisch und rechtmäßig in den Tod. Der Tod muss dabei als Bereich, als das Totenreich, als ein Gefängnis aufgefasst werden, dem man ohne weiteres nicht mehr entrinnen kann (Hiob 7,9).

Nun ist es wichtig, festzustellen: Mit dem Tod erwirbt sich ein Sünder rein gar nichts für sich selbst vor Gott! Keinen Ausgleich, keine Sühne, keine Vergebung, keine Befreiung von Schuld. Mit den Menschen im Tod ist Gott nicht dadurch schon versöhnt, dass sie jetzt im Tod sind. Sie sind ja gerade deswegen im Tod, weil sie in einem Konflikt mit Gott stehen. Der Tod ist einfach eine automatische Konsequenz des Beziehungskonflikts und der Gesetzesübertretung.

Damit ist die Problemlage klar: Der Mensch muss von seiner Schuld gelöst, aus dem Tod befreit und wieder mit Gott versöhnt werden. Und das rechtlich abgesichert. Und nicht nur kurzzeitig, sondern nachhaltig und auf Dauer.

Was macht das Kreuz und was macht es nicht?

Was geschieht am Kreuz rechtlich im Hinblick auf unsere Schuld, unsere Erlösung und Befreiung aus dem Tod und der Versöhnung mit Gott?

Es wird die Schuld der ganzen Welt auf die Person Jesus gelegt. „Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt!“ sagt Johannes der Täufer in Richtung auf Jesus (Johannes 1,29). Dass es sich nicht um seine eigenen Schulden handelte, macht 2. Kor. 5,21 unzweideutig klar. Hierin sind alle nur denkbaren Sünden gegenüber Gott und den Menschen, alle denkbaren Übertretungen des Gesetzes eingeschlossen, die der Vergangenheit, die der Zukunft. Diese Schuld wird ihm so zugerechnet, als habe er sie selbst begangen.

Hier muss jetzt festgehalten werden: Es handelt sich bei diesem Vorgang um einen unsichtbaren Rechtsakt, einen Akt der Zurechnung (vgl. Röm. 5,18 „durch des Einen Rechtstat“). Das führt jetzt ganz automatisch zu der Konsequenz, wie sie für jeden Menschen gilt, dass Jesus rechtlich gesehen sterben muss und der Tod ein Recht hat, Jesus zu behalten. Er kann nach diesem Rechtsakt nicht mehr Legionen von Engeln anfordern, seinen Niedrigkeitsleib wieder umwandeln und sofort in den Himmel zurückfahren. Das ist keine Genugtuung im Sinne einer Besänftigung der Gottheit durch das Mittel des Todes, sondern einfach eine konsequente Folge der Sünde. Er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen (Jes. 53,8).

Im äußeren Geschehen  wird durch das Sterben Jesu mit Vergießen seines Blutes ein Symbol für den inneren unsichtbaren Rechtsakt der Schuldzurechnung aufgerichtet, genau wie es auch der Symbolik der Tieropfer im alten Bund entsprach. Der Tod, das Vergießen von Blut, ist in der Symbolhandlung dafür da, aufzuzeigen, dass die Sünde gegen Gott, die Übertretung des Gesetzes eigentlich in den Tod führen würde. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass durch das grausame Ritual eine Kompensation für die Schuld erfolgt.

Doch zurück zum Rechtsakt.

Die Schulden sind im Tod noch da. Jesus ist ja gerade deswegen im Totenreich. Sie liegen jetzt auf dem Konto von Jesus. Und das ist hochgradig im Minus!

Die Schuldenübernahme und die automatische Strafe des Todes sind nicht das Ausgleichsmittel für Gott im Sinne eines Moloch-Gotts, der dann besänftigt ist. Die Schulden der Welt sind nach wie vor noch auf seiner Person!

Da bei Gott alles so rechtmäßig abgesichert zugeht – wie soll das denn nun gehen mit der uns zugerechneten Gerechtigkeit Christi (Röm. 1,17)? Bis jetzt lässt sich eine Gerechtigkeit Gottes noch nicht erkennen. Ganz im Gegenteil. Wenn man von Christus in diesem Zustand einen Anteilsschein erhalten würde, wäre man selbst auch wieder hochgradig verschuldet!

Der Teufel kann doch triumphieren. Er hat den Sohn und Erben rechtlich abgesichert festgesetzt. Jesus ist noch im Tod.

Was nun? Was geschieht jetzt?

Die Wiederannahme

Was macht der Vater jetzt? Der Sohn hat nichts mehr, was er ihm bringen kann. Er hat keinen Aktivposten mehr. Nur den Dreck der Welt. Wie im Gleichnis vom verlorenen Sohn.

Jetzt findet die Wiederannahme des Sohnes statt. Eine Wieder-Ver-Söhnung sozusagen, doch vor der Versöhnung noch die Vergebung und zwar eine bedingungslose.

Der Vater vergibt dem Sohn die Sünden der ganzen Welt – bedingungslos und ohne Gegenleistung, sola gratia, aus reiner Liebe!

Die Vergebung ist eine Initiative des Vaters. Der Sohn hat kein Recht darauf. Es ist reine Gnade. Der Vater kommt dem Sohn vorauslaufend entgegen (vgl. Luk 15,20):

Als er noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater und wurde im Innersten von Erbarmen bewegt, lief (ihm entgegen) und fiel ihm um den Hals und küsste ihn.

Das ist die erste Voraussetzung für die dann stattfindende Versöhnung zwischen Vater und Sohn. Es gehört dann natürlich dazu, dass der Sohn die angebotene Wieder-Versöhnung auch annehmen will (vgl. Luk. 15,18). Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen. Vergebung kann einer für sich allein beschließen, zur Versöhnung gehören immer zwei. Ein Handschlag gehört mindestens dazu. Im Gleichnis umarmt der Vater den Sohn und küsst ihn. Damit ist die durch die Sünde zerstörte Beziehung zwischen Vater und Sohn wieder hergestellt.

Und was kommt nach der Vergebung und Wiederannahme? Die Auferweckung. Der Vater lässt ihn auferstehen (Apg. 2,24 und 2,27 und 2,32). Er hat ihm die übernommene Fremdschuld erlassen. Damit besteht rechtlich kein Grund mehr, ihn im Tod zu behalten.

Denn siehe mein Sohn war tot und ist nun wieder lebendig geworden, war verloren und ist gefunden worden. Und sie begannen, fröhlich zu feiern (Luk. 15,24).

Die bedingungslose Vergebung durch den Vater muss der Auferstehung zwingend vorausgegangen sein. Ansonsten hätte Gott-Vater gegenüber dem Tod keine Rechtsgrundlage gehabt, den Sohn aus dem Tod zu befreien.  Aufgrund der übernommenen Fremdschuld hätte Jesus eigentlich im Tod bleiben müssen. Doch Gott fällt sich selbst in den Arm und überlässt ihn nicht dem Tod. Seine Barmherzigkeit triumphiert. Wie im Gleichnis.

Der Tod ist überwunden

Festzuhalten ist nun primär, dass Gott sich durch das Kreuz und die Auferweckung des Sohns einen neuen Menschen geschaffen hat, dessen Leben gegenüber den Ansprüchen des Todes grundsätzlich resistent ist, rechtlich komplett abgesichert. Einfach aus dem Grund, weil diesem Leben alle nur denkbare Sünde auferlegt wurde (zur Sünde gemacht), dem Tode sein Recht gegeben wurde und es dann aber vom Vater begnadigt und auferweckt wurde (2. Kor. 5,17-21). Mit der Immunisierung gegenüber dem Tod geht übrigens ein hohes Risiko einher, was der Vater nur mit dem Leben von Jesus eingehen konnte, wie wir unten noch sehen werden.

Gott gibt seinen Sohn in den Tod – nicht weil er nicht bedingungslos vergeben könnte und durch Todesopfer besänftigt werden muss, sondern weil er dadurch den Menschen nachhaltig von den Ansprüchen des Todes befreien und er-lösen kann. Dem Tod wird rechtssicher die Existenzgrundlage entzogen. Die rechtlichen Folgen von Schuld überwunden. Das ist das Thema von Christi Blut.

Mit Aktion der Auferweckung hat der Teufel wohl nicht gerechnet. Der Sohn und alle die er zu seinem Eigentum, zu seiner Person dazu zählt sind de jure von den Ansprüchen des Anklägers frei, der Teufel kann die Waffe des Todes gegen niemanden mehr einsetzen. Jetzt ist dem Goliath sein Riesenschwert aus der Hand genommen. Dem Teufel ist seine stärkste Waffe – der Tod – entwunden. Der Satan wollte durch den Tod Beute sammeln. Daher reizt er die Menschen auch zur Ungerechtigkeit und Übertretung eines an sich guten Gesetzes. Der (Treiber-)Stachel des Todes ist die Sünde, die Kraft der Sünde aber das Gesetz (1. Kor. 15, 56).

In Hebr. 2,14 wird das beschrieben:

…, um durch den Tod den außer Wirksamkeit zu setzen, der die Macht über den Tod besitzt, das ist der Teufel, …

Allerdings besteht die Freiheit vom Tod zunächst mal nur für die Person des Sohns. Für die Menschen ist es notwendig, Anteil am Leben dieses Sohns zu bekommen. Es braucht jetzt noch einen Befreier, der über Tote und Lebende Herr ist (Röm. 14,9), einen der das unsterbliche Leben in sich selber hat (Joh. 5,26), einen, der auferweckt und lebendig macht, welche er will (Joh. 5,21 und 5,25).

Wirklich bedingungslos

Man könnte nun allerdings einwenden, dass Jesus bei der Vergebung seiner Schuld durch den Vater im Vergleich zu uns den signifikanten Startvorteil hatte, dass es nicht wirklich seine eigenen, sondern nur freiwillig übernommene Fremdschulden waren. Also quasi nur Fake-Schulden, die nicht wirklich genauso rechtswirksam sind.

Nein, so war es nicht.

Der Sohn hatte wirklich nichts mehr. Er hatte im Tod nicht mehr die Kraft, selbstständig aufzuerstehen. Er kannte zwar den Plan Gottes, die Verheissungen für ihn, doch ist er am Kreuz voll ins Risiko gegangen! Da gab es keinen doppelten Boden mehr. Im Tod gab es für ihn keinen einklagbaren Deal zwischen Gott-Vater und Gott-Sohn mehr.

Er hat in den Tagen seines Lebens im Fleisch dringendes Bitten und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen dem dargebracht, der ihm aus dem Tod zu erretten vermochte, und ist (seiner) Gottesfurcht wegen erhört worden (Hebr. 5,7).

Es war da nichts mehr damit, dass er den Vater bitten könnte, ihm 12 Legionen Engel zu schicken, wie noch bei seiner Gefangennahme (Matth. 26,53).  Vielmehr galt ab dem Kreuz bis zur Wiederannahme, bei der ihm der Vater mit seiner vorauslaufenden Vergebung entgegen kommt:  Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen (Matth. 27,46)?

Gott vergibt also wirklich bedingungslos
und nicht wie ein Moloch, dem man dazu Opfer bringen musste.

Natürlich hat der Vater den Sohn nie wirklich aus der Hand gegeben. Doch um die Menschen dauerhaft von den Ansprüchen des Todes freistellen, er-lösen zu können, musste der Sohn in den Tod gehen, wie oben ausgeführt wurde. Aus der Pfingstpredigt von Petrus wird deutlich, dass es der Vater war, der ihn auferweckt hat: Diesen Jesus hat Gott auferstehen lassen; dafür sind wir alle Zeugen (Ps. 16,10 und Apg. 2, 27 und 32). Stellen, aus denen man herauslesen könnte, dass Jesus sich durch seinen Gehorsam bis zum Kreuz die Auferstehung und Erhöhung erworben hat (Phil. 2,8) dürfen m. E. nur im dem Sinne interpretiert werden, dass er die Vorausetzungen für die Durchführung des Heilsplans Gottes erfüllt hat und einem souveränen Gott die Möglichkeit eröffnet hat, den nächsten Schritt einzuleiten.

Warum vergibt Gott dann nicht einfach jeden direkt?

Wenn hier postuliert wird, dass Gott grundsätzlich bedingungslos Schuld vergeben kann, ergibt sich natürlich sofort die Frage, warum er dann nicht einfach jedem vergibt. Warum wählt er den schwierigen Weg über Jesu Kreuz und Auferstehung, damit wir jetzt Vergebung in ihm erhalten?

Nun, die Frage geht davon aus, dass das eigentliche Problem darin bestünde, dass Gott keine Schuld vergeben kann und dazu das Kreuz braucht.

Das eigentliche Problem ist, dass die Sünde auch unser Wesen, unseren Charakter, unser Herz zum Negativen verändert. Sünde ist eben nicht nur eine äußerliche zurechenbare Schuld aufgrund bestimmter Taten, sondern sie hat auch mit unserem inneren Charakter zu tun und dringt in unser Wesen ein – wie ein Gift.

Es braucht nicht nur Vergebung, sondern Erlösung.

Einen Hinweis auf diese Begründung für das Kreuz gibt der Bericht über die aufgerichtete eherne Schlange als Kreuzsymbol, auf die die Israeliten in der Wüste schauen mussten, damit das Gift seine Wirkung nicht entfaltet.

Ja, Gott könnte uns direkt vergeben. Aber was würde passieren, wenn er einem Schwerverbrecher, einem Despoten mit seiner gleichen Despoten-Mentalität wieder freien Auslauf in seinem Universum lässt? – Genau, dann würde der gleiche Mist wieder von vorne beginnen (vgl. 1. Mose 3,22).

Warum musste das Lamm fehlerlos sein?

Das bringt uns zu der nicht unbedeutenden Frage, warum das Lamm Gottes unschuldig sein musste, wie es auch der jüdischen Tradition entsprach, dass die Opfertiere fehlerlos sein mussten.

Für den Rechtsakt der Schuldübertragung und die spätere Vergebung wäre es ja unerheblich, ob hier noch ein paar weitere eigene Schulden von Jesus hinzugekommen wären.  Weil ihm am Kreuz sowieso alle Schuld der Welt auferlegt wurde, wäre es ja auch nicht mehr auf seine eigenen angekommen. Die wären gar nicht mehr ins Gewicht gefallen. Und genauso bei der Vergebung seiner Gesamtschuld durch den Vater: Seine möglichen eigenen Schulden könnten hier doch einfach mitvergeben worden sein. Die Funktion der Schuldübertragung hätte das Lamm auch mit eigener Schuld erfüllt. Hier würde doch die Rede von der Rechengröße zutreffen, die man erst addiert und später wieder abzieht.

Und in der Tat: Für die Funktion der Schuldübernahme wäre eigene Schuld von Jesus unerheblich.

Auf die richtige Spur kommt man, wenn man den Begriff der Fehlerlosigkeit weiterdenkt: Das Lamm musste fehlerlos sein in dem Sinne, dass es einen fehlerlosen, exzellenten, ja vollkommenen Charakter (Wesen, Mentalität) aufweisen musste. Und zwar aus dem Grund, weil es der Vater als Basis und Quelle seiner geplanten Schöpfungserneuerung einsetzen wollte und will.

Diese Begründung wird in Hebr. 2,10 gegeben:

Denn es war (Gott) angemessen, für den und durch den das Weltall (existiert), da er viele Söhne zur Herrlichkeit führt, den Begründer ihrer Rettung durch Leiden zu vollenden.

Es geht darum, dass er einen hohepriesterlichen Charakter (Mentalität/Wesen) bekommt, wo die Gesetze in den Sinn und auf das Herz geschrieben werden (Hebr. 8,10).

Hier sind wir jetzt nicht mehr bei der Thematik von Christi Blut, sondern beim Thema von Christi Leib. Die Überwindung von der Macht der Sünde.

Jesus definiert selbst, was er als die größte Liebe ansieht: Niemand hat größere Liebe denn die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde (Joh 15,13). Seine Jünger waren zu dem Zeitpunkt schon seine Freunde, aber eigentlich ist die größte Liebe die Feindesliebe. Interessant ist, dass seine Forderung in der Bergpredigt nach Vollkommenheit in Zusammenhang mit der Feindesliebe steht (Matth. 5,48).  Insofern hat Gott seinen Charakter der Liebe am Kreuz vollkommen gemacht. Nicht dadurch, dass er fürchterliche Schmerzen litt – andere sind genauso gequält worden – sondern, dass er in dieser Situation noch sagen konnte:

Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun (Luk 23,34).

Die Schmerzen selbst haben keine Erlösungswirkung. Sie müssen auch keinen Rachegott besänftigen. Wie wir unschwer aus der Schrift des Alten Testaments erkennen können, war Jesus klar, worauf das Ganze hinauslaufen würde (z. B. Ps. 22).  Dass er es dennoch durchgezogen hat, zeigt dann nur noch, wozu die Liebe Gottes fähig ist! Und nicht, wozu ein Zornes-Gott angeblich fähig sein soll.

Die Versöhnung geht weiter

Im Startpunkt der Erneuerung der Schöpfung steht also nicht ein auf Rache sinnender Vergeltungsgott, der den Tod als Mittel zu seiner Besänftigung verlangt. Der Tod ist ein Feind. Nein, die Grundlage für die Auferweckung von Jesus ist die bedingungslose Vergebung von Sünden und die Versöhnung mit dem Vater. Schon im Vater Unser, das ja eigentlich nicht nur ein Gebet für die Jünger, sondern das gemeinsame Gebet des Sohnes und seiner Brüder und Schwestern ist, wird es deutlich: Der Sohn stellt sich auch in die Bitte um Vergebung hinein!

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern (Matth. 6,12).

Die Vergebung des Vaters und die Weitergabe dieser Vergebung erfolgen dabei nach demselben bedingungslosen Prinzip. In Christus hat Gott die ganze Welt de jure mit sich versöhnt (2. Kor. 5,19). Wenn wir das glauben und unsere Sünden nicht bei uns behalten, sondern bei ihm abladen, gewinnen wir Anteil am Leben des Christus, stehen im Lebensbuch des Lammes. Dadurch kommt es dann auch de facto zu einer Versöhnung mit Gott. Und das Leben des Lammes ist ein Leben, das nicht mehr sterben kann. So sind wir nun die Botschafter der Versöhnung, die für Sünder angeboten wird. Wenn das kein Evangelium ist!