Was kann Gott nicht?

Posted by Tobias on

Zur Begründung für die klassische Sicht des stellvertretenden Sühnetods wird in der Regel folgendermaßen argumentiert: Weil Gott ein heiliger und gerechter Gott ist, sei es ihm unmöglich, einfach so barmherzig zu sein, Sünden zu vergeben und den Gottlosen zu rechtfertigen. Es brauche dazu zuerst eine gerechte Vergeltung. Eine Strafe. Als Ausgleich sozusagen, z. B. James I. Packer in „Gott erkennen“ (S.227):

Gott ist es in Wirklichkeit unmöglich, Sündern zu vergeben und den Gottlosen zu rechtfertigen – es sei denn aufgrund der Gerechtigkeit, die sich in der gerechten Vergeltung Gottes offenbart. Unsere Sünden wurden betraft; das Rad der Vergeltung hat sich gedreht; das Gericht über unsere Gottlosigkeit wurde vollzogen.

Das Ergebnis eines solchen Sühneverständnisses ist dann die Fähigkeit Gottes, unsere Sünden zu tilgen und den Gläubigen eine entsprechende Vergebung zusprechen zu können. Sühne wird verstanden als ein Ausgleich, eine Kompensation, als ausgleichende Strafe, Ersatzleistung, Wiedergutmachung, Ablass. Man kann viele verschiedene Begriff dazu finden. Alle haben sie den Charakter einer Ausgleichsleistung.

Aber ist dies wirklich eine zutreffende Begründung für das Kreuz? Kann Gott nicht barmherzig sein, wenn er nicht zuvor einen Ausgleich in Form eines grausamen Opfers erhalten hat?

Ich meine nicht, dass dies dem Charakter Gottes entspricht. Und diese Erkenntnis war auch ein wesentlicher Treiber, mich mit dem Verständnis unserer Erlösung zu befassen.

Warum allerdings dann ein Opfer?

Es ist nun keinesfalls neu, dass das klassische Sühneverständnis als Ausgleich für Sünden zwar in den Gemeinden noch das vorherrschende ist, diese Erklärung für den Tod Jesu jedoch von einer zunehmenden Zahl an Theologen heute nicht mehr unterstützt wird. Hier ist man nun zu der Erkenntnis gekommen, dass Gott auch ohne ein ausgleichendes Opfer barmherzig sein und Sünden vergeben kann.

Dies führt dann dazu, dass eine oder mehrere alternative oder sich ergänzende Erklärungen für das Kreuz angeboten werden (müssen). Eine der gängisten davon ist, dass im Leiden und Sterben Jesu vor allem die selbstlose und opferbereite Liebe Gottes zu uns Menschen sichtbar wird und uns dadurch zeigt, wie Gottes Wesen im Kern beschaffen ist. Diese Sicht korrespondiert dann mit dem implizit vorhandenen Verständnis, dass sich Gott kann ja einfach nur den Menschen zuwenden müsse, damit sie seine Liebe und Nähe erfahren – ohne dass er wegen seiner Heiligkeit erst durch ein ausgleichendes Opfer dazu in die Lage versetzt werde müsse.

Obwohl an vielen der alternativen Erklärungen für das Leben und Sterben Jesu was dran ist, ja zuweilen viel dafür spricht, haben mich diese Deutungen nie zufrieden gestellt. Bei weitem nicht. Denn hier konnte ich keinen Bezug zu meiner Sünde, zum Wegtragen meiner Schuld, zu mir persönlich mehr feststellen. Das war auch der Grund, weswegen ich bis vor wenigen Jahren die mir bekannte klassische Sühnetheologie nie kritisch hinterfragt hatte. Heute sehe ich folgenden Hauptpunkt:

Die klassische Sühnetheologie erklärt letztlich, wie Gottes Gerechtigkeit hergestellt wird. Zumindest, wie ein Gott diese seine Gerechtigkeit so herstellt und aufbereitet, dass sie für den Menschen als Erlösung nutzbar ist und man sie durch Glauben ergreifen kann. An die Qualität und Bedeutung dieses zentralen Leistungsmerkmals des Todes Jesu kommen die mir bekannten alternativen Erklärungen des Kreuzes einfach nicht heran. Hierin sah ich die klassische Sühnetheologie konkurrenzlos. Für mein Empfinden, ist die berechtigte Kritik an der klassischen Sühnetheogie daher auf halbem Wege stehen geblieben – weil sie nicht ausreichend deutlich machen kann, dass und wie die zentralen Heilsereignisse für die Herstellung der Gerechtigkeit Gottes notwendig und zu erklären sind.

Was Gott nicht kann

Die klassische Sühnetheologie sagt aus, dass Gott nicht gleichzeitig heilig und barmherzig sein könne und wegen seiner Heiligkeit einen Ausgleich brauche, damit er den Menschen Sünden vergeben könne.

Wenn nun diese Antwort zurückgewiesen werden muss, so muss auf der anderen Seite die Fragestellung nicht falsch sein und kann für eine Lösung richtungsweisend bleiben: Was kann Gott nicht? Wegen seiner Heiligkeit.

Gott kann keine Gemeinschaft mit Sündern haben.

Gottes Heiligkeit und die Nähe zu Sündern verträgt sich nicht. Das ist aus der ganzen Schrift erkennbar. Genesis 3. Der Sündenfall. Gott vertreibt den Menschen aus dem Garten Eden, aus der unmittelbaren Nähe und Gemeinschaft mit ihm. Und in umgekehrter Weise, am Ende der Bibel, in der Offenbarung, auf einer erneuerten Erde, wohnt Gott wieder bei den Menschen. Und er selbst wird als ihr Gott bei ihnen sein (Offb. 21,3).

Aber auch im AT ist die Trennung spürbar. Selbst ein Mose, der Mann Gottes, der ihm wohl auf dem Berg Sinai am nächsten war, kann ihn nicht sehen. Das Allerheiligste in der Stiftshütte, dort wo Gott seine Anwesenheit erklärt, das war eine Ort höchster Lebensgefahr für die, die sich nicht auf Basis der vorgeschriebenen Sühnerituale mit Blut näherten.

Selbst wenn wir uns nicht in Gottes Heiliges Wesen hineinversetzen können, so lässt sich eine solche Distanzierung auch menschlich nachvollziehen. Mit Leuten, die uns ärgern, die uns ständig querkommen, ja mehr noch, die unsere moralisch-beziehungsmässigen Maßstäbe verletzt haben und fortgesetzt verletzen. Die uns gegenüber feindselig eingestellt sind. Mit denen möchten wir auch keine Gemeinschaft haben. Zumindest nicht für länger und auf Dauer.

Aber jetzt kommt Jesus

Ich höre bereits die Einwände: Mit Jesus ändert sich das doch. Es wird von ihm berichtet, dass er gerade Sünder annimmt, in ihre Nähe kommt und Gemeinschaft mit ihnen pflegt. Warum isset euer Meister mit den Zöllnern und Sündern (Matth. 9,11)?

Genau. Mit Jesus ändert sich die Distanz Gottes zu den Menschen. Bereits durch die Menschenwerdung Jesu wird deutlich, dass Gott den Menschen so nah kommt, wie nie zuvor. Diese greifbare Nähe im Leben Jesu schattet allerdings zunächst die endgültige Nähe und Gemeinschaft vor, die durch sein Erlösungswerk erst möglich gemacht wird. Sichtbar gemacht wird dies, dass nach seinem Tod der Vorhang im Tempel zereisst und den Zugang ins Allerheiligste freimacht, dort wo Gott wohnt.

Wie aber kann man erklären, warum das Erlösungswerk Christi die Gottesdistanz zum Menschen wieder aufhebt?

Simul iustus et peccator – gerecht und Sünder zugleich

Wenn Gott heilig ist und keine Gemeinschaft mit Sündern haben kann und auf der anderen Seite die Menschen nicht einfach so keine Sünder mehr sein können, nicht einfach so den Forderungen Gottes genügen können. Dann ergibt sich ein Problem.

Wenn es so ist, dass die Menschen eine Grunderneuerung brauchen, eine Wiedergeburt, aber dadurch nicht perfekt sind und roboterhaft auf gut programmiert werden. Wenn es so ist, dass sie trotz einer Umkehr zu Gott, einer Annahme durch ihn, einer Wiedergeburt und dem Geschenk eines neuen Leben erst lernen müssen, in diesem neuen Leben zu laufen – und auf diesem Weg immer noch sündigen und den Anforderungen einer Gottesgemeinschaft nicht genügen, dann ergibt sich ein noch größeres Problem.

Was Gott jetzt nicht kann, ist, seine Heiligkeit, sein gerechtes Wesen aufzugeben. Damit würde er sich selbst verleugnen. (Das wäre dasselbe, wie das Gesetz aufzuheben, nur weil die Menschen es nicht halten können).

Es reicht auch nicht aus, wenn er nur einen Sohn seines Wohlgefallens hat, der seine Forderungen erfüllen kann und mit dem er Gemeinschaft haben kann und wir können das nicht.

Was er aber machen kann, ist, den Sohn, zu dem der Vertrauen hat, als Quelle der inneren Erneuerung der Menschen heranzuziehen, zum Stammvater eines neuen Menschengeschlechts zu machen und den Macht- und Eigentumsbereich des Sohns gewaltig zu erweitern und gegen die Gottesdistanz und gegen die Machtabsprüche des Todes abzusichern. Und genau das tut er durch die zentralen Heilsereignisse von Kreuz und Auferweckung.

Der Sohn ist zwar selbst vollkommen. Das gilt aber nicht für die Sünder, die von ihm angenommen und in seinen Eigentumsbereich versetzt werden. Deswegen muss er sicherstellen, dass er selbst und alle die ihm angehören, nicht mehr in die Gottesferne kommen können. Deswegen versichert er sein Leben gegen die Gottesferne. Er lässt sich prophylaktisch für alle Schuld verurteilen, wird aber wieder vom Vater angenommen. Er kann daher nicht mehr verurteilt werden, weil bereits für alles verurteilt und wieder angenommen. Damit spannt er mit seinem Leben den Sündern einen Schutzraum gegen die Gottesdistanz und gegen den Tod auf.

Es ist wichtig zu sehen, dass dies alles eine Operation auf dem Leben des Sohns seines Wohlgefallens darstellt. Und das Leben des Sohns durch Kreuz und Auferstehung weiterqualifiziert wird. So, dass es uns erlösen kann. Erst das Auferstehungsleben ist das Ergebnis der Erlösungswerks. Dieser Schutzraum gründet sich auf das Vertrauen in den Sohn, dass dieser seine Macht und Freiheit nicht gegen Gott mißbraucht. Gott gibt nicht seine Heiligkeit auf und lässt sich die Schuld der Welt gegen den Tod Jesu abkaufen. Auch wird die Schuld der Welt nicht bezahlt oder getilgt.

Jesus musste daher nicht sterben, weil Gott einen Ausgleich für seine Bereitschaft zur Vergebung braucht. Gott musste kein innertrinitarisches Problem klären, wie er ansichts der Sünde der Menschen noch barmherzig sein kann. Jesus musste sterben, sein Blut vergießen und auferstehen, weil uns ständig Sünde zugerechnet werden muss. Weil er uns das Heil/Gottgemeinschaft zusichern will, obwohl wir noch Sünder sind. Das Erlösungwerk ist die Antwort auf unser Problem.

Es entsteht das im Grunde unerhörte Ergebnis des Erlösungswerks – dass Gott Menschen gerecht sprechen kann, vom Beginn ihrer Annahme durch Jesus, und das, obwohl sie immer noch sündigen. Simul iustus und peccator eben.

Gott gibt nicht seine Heiligkeit auf. Er hat jetzt einen, der seine Forderungen erfüllen kann und dessen Einfluss sich ausweiten soll. Er soll wachsen, wir sollen abnehmen. Das reine Opferlamm. Und mit diesem kauft er uns davon los, dass wir seine Forderungen selbst erfüllen müssen und – falls wir sie nicht erfüllen – , in die Gottesferne und den Tod kommen. Er erlöst den Menschen aus seiner verfahrenen Lage, dem Fluch des Gesetzes, in dem er sich selbst davon herauskauft. Das darf er aber nur, weil er in der Lage ist, das Gesetz zu erfüllen.

Auf diese Weise wird m. E. die Gerechtigkeit Gottes hergestellt, offenbart, erwiesen. Und das, ohne seine Heiligkeit zu komprimittieren.

Nun ist aber ohne Gesetz Gottes Gerechtigkeit offenbart worden (Röm. 3,21). D.h. ohne dass der Mensch gezwungen ist, das Gesetz in eigener Kraft zu erfüllen, weil er es eh nicht kann. Das entzieht jeglichem religösen Leistungsdenken grundsätzlich den Boden – und zwar im Vorfeld unser Umkehr und Annahme durch Gott, als auch dann im weiteren Verlauf der Nachfolge.

Wenn das kein süßes Evangelium ist!

Kein riesiger Ablasshandel

PS: Es war in der Lehre stets klar verkündigt, dass wir in seinen Tod und seine Auferstehung getauft sind, d.h. in einem neuem Leben wandeln (sollen), welches zuvor durch den Tod des alten Menschen gegangen ist. Das betrifft die Leibseite der Erlösung.

M. E. gilt dies jedoch auch für die Blutseite der Erlösung, dass wir an einem Leben teilhaben, welches zuvor durch den Tod gegangen ist. Ein Leben, welches erst verdammt, dann aber wieder gerechtfertigt wird. Verdammt durch Schuldzurechnung am Kreuz, gerechtfertigt durch Aufweckung. Dahin gegeben um unserer Übertretungen willen, auferweckt um unserer Rechtfertigung willen.

Sühne hat in dem vorgeschlagenen Ansatz daher schon die Wirkung der Wegnahme von Schuld. Die Strafe lag auf ihm, auf dass wir Frieden hätten. Jedoch nur insoweit, als wir die tödlichen Konsequenzen, die Tatfolgen unser Schuld nicht tragen müssen. Jedoch nicht in dem Verständnis, dass unsere Schuld durch den Tod bezahlt würde.

Im Grunde kann die klassische Sicht der Sühnetheologie mit dem Ausgleich und der Bezahlung von Schuld als ein riesiger Ablasshandel betrachtet werden. Auf so etwas lässt sich Gott doch nicht ein!