Vorschlag eines Sühnetodmodells

Version 0.2, 27.02.2020

In der Theologie existieren sehr unterschiedliche Deutungen der zentralen Heilsereignisse unserer Erlösung, insbesondere, was die Begründung für das Kreuz Christi und die Interpretation des Begriffs der „Sühne“ anbelangt. Auf der einen Seite stehen diejenigen, für die der Sühnetod Jesu die Ausgleichsleistung zur Tilgung der Schuld der Welt darstellt. Damit bin ich auch „aufgewachsen“. Andere Theologen verbinden mit dem Begriff der Sühne hauptsächlich die Versöhnung zwischen Gott und Mensch und die Wiederherstellung von Gemeinschaft, wobei hier oft die Schuldübernahme und die ganze rechtliche Dimension keine wesentliche Rolle mehr zu spielen scheint.

Mit diesem Beitrag möchte ich noch eine weitere Erklärung der Erlösung vorstellen, die möglicherweise in der Lage ist, bestehende Gegensätze zu überbrücken. Und zwar ausgehend von der Frage „Wie hat Jesus die übernommene Schuld der Welt eigentlich wieder von sich wegbekommen?“

Eine Frage, die etwas ungewöhnlich beantwortet wird

Der Sohn wurde am Kreuz vom Vater so behandelt, als habe er die ganze Sündenschuld der Welt selbst verbrochen. Ihm wird die Sünde der Welt zugerechnet. Der Vater geht deswegen auf Distanz zu seinem Sohn (Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen…). So wurde ich immer gelehrt und sehe es auch heute noch genauso.

Was ich nie explizit gelehrt wurde: Warum durfte Jesus auferstehen, wie hat er eigentlich die Schuld wieder von sich wegbekommen? Implizit schwang natürlich stets die klassische Sühnetod-Theologie mit: Durch seinen Tod als eines unschuldigen Opferlamms tilgt er die übernommene Fremdschuld der ganzen Welt, fährt das Schuldkonto der Welt bei Gott auf Null und bekommt sie in diesem Zuge natürlich auch selbst wieder von sich los. Für viele stellt diese Sühneversion das Innerste vom inneren Kern des Evangeliums dar.

3 mögliche Antworten

Doch: Löscht das körperliche Sterben Jesu die Schuld der Welt? Wo steht das so explizit in der Schrift? Oder wird hier nicht eine außerbiblische heidnische Sühnevorstellung in die Schrift hineingelesen?

Zum Zweiten: Löscht der Tod, der Hades, also die Tatsache, dass der Sohn in das Totenreich kommt die Schuld der Welt von seiner Person? Für mein Verständnis unhaltbar, wenn man den Tod als Herrschaft, als Reich, Gewalt, als Finsternismacht begreift. Als der Fordernde, als der Sünde Sold, der auf alle Sünder einen Besitzanspruch erhebt. Falls der Tod das überhaupt können sollte, hat er ja gar kein Interesse daran, Sünden zu löschen! Ganz im Gegenteil: Vielmehr wird ja durch die Zurechnung der Schuld der Welt erst ein Herrschaftsanspruch über den Sohn in Kraft gesetzt (vgl. Röm. 6,9: Der Tod wird nicht mehr über ihn herrschen.)

Was verbleibt also, um die Schuld der Welt wieder loszubekommen? Jesus geht ja davon aus, dass er vom Vater wieder angenommen wird. Wie der Schächer. Heute wirst du mit mir im Paradiese sein, also im dem Teil des Hades, im dem die Gottseligen auf ihre Auferstehung warten, in Abrahams Schoss und beim armen Lazarus. Auch sagte ja die Verheissung: Du wirst meine Seele dem Hades nicht lassen. Jesus befiehlt seinen Geist demnach vertrauensvoll in die Hände des Vaters.

Welche Möglichkeit verbleibt also? Meine Erklärung: Gott hat seinen Sohn wieder angenommen, er ist ihm wieder entgegen gekommen, wie im Gleichnis der Vater dem (zeitweise) verlorenen Sohn. Der Vater hat sich erbarmt und hat dabei wieder von Schuld der Welt abgesehen. Hat sich buchstäblich wieder mit ihm ver-söhnt. Und überschreibt nur aufgrund seines bedingungslosen Erbarmens die Ansprüche des Todes und entreisst ihn durch Auferweckung wieder seiner Gewalt.

Was ist dann der Gewinn des Kreuzes?

Was soll nun das Ganze? Erst Schuld zurechnen, dann wieder davon absehen. Was ist damit gewonnen? Nun – er schafft sich dadurch das Leben eines Menschen(sohns), welches vollständig gegen den Anspruch, die Macht der Todes restistent/ immun/ unangreifbar gemacht wurde! Es gibt keine Sünde, die das Leben des Auferstanden nochmals in den Machtbereich des Todes bringen könnte, weil er bereits für alle Schuld der Welt dort war und diesem wieder durch die allerhöchste Autorität entrissen wurde. Und das gilt dann für alle, welche vom Auferstandenen angenommen werden, aus dem Leben des Auferstandenen als dem zweiten Adam heraus neu geboren werden und in seinem Macht- und Eigentumsbereich behalten werden.

In diesem Erlösungsmodell ist nicht die Löschung eines Schuldkontos bei Gott der Ertrag des – ja blutigen – Schuldopfers von Jesus, sondern: Der Sohn selbst wird mit seinem Leben die lebende Generalabsolution, Gerechtigkeit, Versöhnung zwischen Mensch und Gott.

Die uns zugerechnete Gerechtigkeit wird dann nicht repräsentiert durch die Unschuld des Opferlamms vor dem Kreuz, sondern dadurch, dass wir durch Wiedergeburt Anteil gewinnen am grundsätzlich und permanenten gerechten Leben des Auferstandenen, eingepflanzt sind in ihn. Diesen ganzen Sachverhalt gibt die Passage in 2. Kor. 5, 21 am besten wieder: Er wurde zur Sünde gemacht, auf dass wir in ihm Gottes Gerechtigkeit würden. Es ist in diesem Erlösungsmodell leicht einzusehen, dass unsere Rechtfertigung ohne die Auferstehung Jesu wirkungslos wäre (…auferweckt um unserer Gerechtigkeit willen).

Und dann noch das Gesetz

Durch sein Sündopfer wurde also der Tod überwunden – zumindest mal potenziell für die ganze Welt. Davon unterschieden werden muss m. E. noch das Gesetz Gottes. Hier haben wir es ja im AT mit einem Gesetz zu tun, welches unerbittlich zum Tode verurteilt. Sodann existieren in dieser Gesetzesordnung in Form der Opferrituale rechtlich legitime Gnadenfenster, in denen Gott die Unerbittlichkeit des Gesetzes temporär aussetzte und Sünden vergab.

Was für die Immunität des Auferstandenen gegenüber dem Anspruch des Todes gilt, kann man ganz analog auch auf die Herauslösung aus der Heilsordnung der Gesetzeswerke anwenden. Seine Person wurde wegen jeglicher Gesetzesübertretung zum Fluch gemacht, verurteilt, hat die Strafe angetreten – wurde dann aber durch eine Amnestie wieder freigelassen. Diese Person kann jetzt munter im Gerichtsaal rumspazieren ohne befürchten zu müssen, nochmals verurteilt zu werden. Daher hat sich nun der Sohn per Sündopfer und Auferweckung als Ganzperson komplett aus dem Rechtsrahmen des AT losgekauft und auf Golgatha einen neuen Rechtsvertrag zwischen dem Vater und den Menschen in Kraft gesetzt – ein Neues Testament der Gnade. Und dieser Rechtsrahmen gilt dann für alle, die ihm angehören. Somit hat er diese Gläubigen auch aus dem unerfüllbaren Rechtsrahmen der Gesetzeswerke losgekauft/erlöst (Gal. 3,13). Insofern dient sein Sündopfer indirekt auch „zur Vergebung der Sünden“, indem es angesichts des Gesetzes eine rechtlich legitime Gnadenmöglichkeit eröffnet. Es handelt sich dabei aber nicht nur um die sparsamen Vergebungsfenster des AT, sondern es werden diese ausgeweitet zu einer permanenten Vergebungsmöglichkeit durch den Sohn. Aber vergeben selbst tut immer noch Gott selbst aufgrund seines Erbarmens. Im AT wie im NT.

Eine alternative Deutung der Reinheit des Opferlamms

Wenn man nun zu der Erkenntnis gelangt, dass der Vater kein Opfer für den Zweck benötigte, barmherzig zu sein und Sünden tilgen zu können – dann brauchte er auch kein unschuldiges Opferlamm für diesen Zweck. Oho(!). Nun ist aber die Reinheit des Opferlamms aufs Deutlichste im AT vorgeschattet, sodass eine Erlösungssystematik hierfür eine gewichtige Erklärung liefern muss:

Oben hatte ich bereits erwähnt, dass die Unschuld Jesu vor dem Kreuz für mich keine Rolle in seiner Qualifikation als Sündopferlamm spielt. (Nur insoweit als Schuld seinen Charakter negativ verändert hätte.) Wenn ihm alle Schuld der Welt zugerechnet wird, wäre seine eigene darin sowieso untergegangen. Nein, ich schlage vor, den Charakter/Herz Jesu, seine selbstlose Hingabe, die er bis zur Feindesliebe am Kreuz vervollkommnet hat als die von Gott geforderte Qualifikation als fleckenloses Opferlamm anzusehen.

Denn welchen Menschen hätte denn Gott gegenüber dem Tod und der Verurteilung durch das Gesetz immunisieren können? Nur einen, von dem er sicher sein kann, dass er seine Freiheiten nicht missbraucht, sich nicht verführen lässt und sich nicht gegen ihn wendet. Der erste Adam hat hier einfach geloost und sich verführen lassen. Nicht zuletzt hat Adam einen Leib der Schwachheit (Erbsünde) gegenüber der Macht der Sünde bekommen. Und wenn er dann auf die Sünde eingeht, wird sein Charakter/Herz immer mehr von Gott weggezogen. Eine Situation aus der er sich nicht mehr selbst befreien kann (Wer wird mich erlösen vom Leibe dieses Todes?)

Die Qualifikation des zweiten Adam

Der zweite Adam hat sich jedoch qualifiziert, war versucht wie wir und hat diese Versuchungen qua Geist überwunden, hat die Charakterbildung bestanden. Hier ist wichtig zu ergänzen, dass bereits die Erniedrigung des Sohns als Mensch und sein ganzer Lebenslauf unter dem Volk als Opfer anzusehen ist, nämlich als Erfüllung des Brandopfers zum Wohlgeruch Gottes inmitten des Lagers, im Gegensatz zum Sündopfer außerhalb des Lagers.

Die Qualifikation als reines Opferlamm benötigte der Vater m. E. daher nicht, um ein unschuldiges Kind moloch-ähnlich abzuschlachten, um einen Ausgleich für Sünden zu schaffen, sondern, weil er ein vollkommenes Leben benötigte, um es zu vervielfältigen und sich viele Kinder zu gebären und in die Länge leben zu lassen.